Intermediale Kongruenz und Porosität von Flugblatt und Theater der Frühen Neuzeit am Beispiel von Andreas Gryphius
Résumé
Dass die frühneuzeitlichen illustrierten Einblattdrucke ein populäres Medium gewesen seien, galt lange Zeit als unbestrittenes Axiom der kulturhistorischen Forschung. Dabei wurde der Massendruck von Illustrierten und Bilderbogen im 19. Jahrhundert unreflektiert auf die Anfänge der Bildpublizistik rückprojiziert. Inzwischen haben lesersoziologische und bibliometrische Untersuchungen diese idealisierende bzw. verächtliche Vorstellung des Flugblatts "für Jedermann" relativiert. Die seit den 1980er Jahren intensiv betriebene Flugblattforschung hat sich nicht zuletzt zur Aufgabe gemacht, die Interdependenzen zwischen den semipopulären Medien und der elitären Wissens-, Kunst- und Literaturproduktion der Frühen Neuzeit aufzuzeigen. Ausgehend von einer bilanzierenden Rückschau auf die Fragen der Medialität, der Rekursivität von Text und Bild und der Transnationalität der illustrierten Flugblätter und über deren Popularisierungsprozess, will sich das Referat dann mit der umgekehrten Frage der Literarisierung derartiger "Massen"lesestoffe eingehender befassen. Exemplifiziert wird dies am Beispiel von Andreas Gryphius, der in seinem dramatischen Werk bildpublizistische Prätexte - sogar mit markierten Bezügen - verarbeitete. Neu hinterfragt werden soll ferner das "osmotische" Verhältnis zwischen den "populären" Bildmedien und den kanonischen Genera der Frühen Neuzeit, in denen ebenfalls der Primat des Visuellen und des Oralen waltet - ist doch die Druckgraphik der Stände-, Wappen- und Emblembücher und der barocken Frontispize aus der elitären Kulturpraxis des 17. Jahrhunderts nicht wegzudenken, und sind doch das Theater, die Predigt und der (semiorale) Brief die damals angesehensten Gattungen überhaupt.